Stolpersteine putzen
Im vergangenen Schuljahr haben sich die Schülerinnen im Religionsunterricht gefragt, was Antisemitismus ist und als Antwort gefunden: ein Denken und Handeln in Feindbildern, das Juden als Ursache aller möglichen Probleme darstellt, sie diskriminiert und bekämpft, also eine Form, sich die Welt zu erklären, ein Verschwörungsmythos.
Ebenfalls beschäftigt hat die Schülerinnen
- die Ursprünge solcher Feindbilder, im Christentum des Mittelalters, aber auch bei Aufklärern und in vorgeblicher Wissenschaft seit dem 19. Jh.,
- die Auswirkungen, etwa in Diskriminierungen, vielen Pogromen und in der Shoa,
- die Aufarbeitung in der katholischen Kirche, beispielsweise in Erklärungen der Kirche und Dialog-Initiativen,
- die Nachwirkungen bis heute: z.B. verbale Attacken auf jüdische Menschen oder Schmierereien an den Häusern, in denen sie wohnen.
Dann kam die Frage auf, was die Schülerinnen selbst tun können, um dem Antisemitismus entgegenzutreten. Da sie wenigstens ein kleines Zeichen setzen wollten, putzten die Schülerinnen am 08.10.2024 einige der „Stolpersteine“, die auf Neusser Gehwegen liegen. Mehr als 100.000 Messingsteine in 31 Ländern hat der Künstler Gunter Demnig bisher verlegt, um wenigstens an einige der 6 Millionen Opfer des Holocaust zu erinnern. Die Stolpersteine liegen in Neuss vor den Häusern, die Juden vor ihrer Deportation und Ermordung oder vor ihrer Vertreibung und Flucht bewohnt haben. In Neuss wurden seit Ende 2005 an 46 Standorten bislang 114 Stolpersteine verlegt.
Vor der Putzaktion wurde befürchtet, dass die Schülerinnen frauenfeindliche, antisemitische oder blöde Sprüche während ihrer Arbeit zu hören bekommen. In Rollenspielen haben sie trainiert, wie sie damit umgehen können. Bei der Arbeit in der Rhein- und der Kapitelstraße hörten die Schülerinnen statt dessen einzelne anerkennende Worte. Die meisten Gruppen wurden einfach in Ruhe gelassen oder ignoriert. Eine Schülerin hatte genau damit gerechnet: „In Neuss interessiert niemanden, was andere auf der Straße machen.“ Aber ist diese Haltung nicht vielleicht sogar bedauerlich? Eine Schülerinnengruppe hat das genaue Gegenteil praktiziert. Sie konnte einer Dame erste Hilfe leisten und erfuhr dafür Dank.
Der neue Glanz der Stolpersteine in der Rhein- und Kapitelstraße zeigt das Ergebnis der Putz-Arbeit. Jetzt fallen sie wieder auf und bieten Anlass, sich zu fragen, an wen hier erinnert wird. Wer eine Antwort darauf möchte, findet sie beim >Neusser Stadtarchiv. Für jede Person, an die ein Stolperstein erinnert, arbeiten die Patinnen oder Paten, die die Verlegung des Stolpersteins begleiten, heraus, was sie in den Quellen des Archivs über das Leben dieser Menschen finden. Zu jeder Person kann man auf der Homepage des Stadtarchivs daher eine kurze Biographie finden. Wer die Aktion der Schülerinnen nachahmen möchte, findet im Internet ebenfalls Putz-Anleitungen für Stolpersteine.
Annette Rieks